Ich bin ein Häusler. (Anm.d.Red.: Kleinstbauer mit eigenem Haus) Meine Großeltern hatten beide ein kleines Sacherl. Unsere Familien haben im Dorf mit den Bauern zusammengelebt, waren aber im Ansehen weit unten drunter.
Die Bauern hatten Geld, Essen und Einfluss. Wir waren Häusler. Wir waren als Kind selbstverständlich beim Arbeiten eingespannt, beim Sauschlachten, beim Kartoffelklauben, beim Heuen. Es war in Ordnung, anstrengend, aber normal. Die Bauern hatten damals schon Maschinen für diese Arbeit. Was bei mir hängen geblieben ist: Die Bauern sind ein ganz eigener Schlag. Und ich glaube, dass das die Bauern heute auch noch von sich in Stolz und Würde so sehen. Vielleicht ist das einer der tieferliegenden Gründe für die entschiedenen und machtvollen Proteste zurzeit. Die Kränkung der Bauernschaft, die Missachtung dessen, welchen Wert gute Landwirtschaft für die Gesamtgesellschaft hat, die Geringschätzung der Verantwortlichen, die für gute Lebensmittel arbeiten.
Ich habe mich in die Problematik des Tropfens, der das Fass jetzt zum Überlaufen gebracht hat, nicht sehr differenziert eingearbeitet. Meinem Eindruck nach geht es jedoch nicht um ein paar Tausend Euro mehr oder weniger beim Agrardiesel. Diese Schwankungen müssen alle Bauern mit wechselndem Dieselpreisen jedes Jahr aushalten. Was ich aus den Gesprächen heraushöre, ist, dass es den Bäuerinnen und Bauern und ihren Familien ums Leben und ums Arbeiten geht. Arbeiten gehört für alle Menschen zum Leben dazu. Und die Bauern haben sich dafür entschieden, dass sie das ganze Jahr jeden Tag arbeiten wollen. Die Situation, in der sie seit einigen Jahren ihre Arbeit machen, stellt große Herausforderungen. Anforderungen, die so groß und überbordend sind, dass die Arbeit, für die sie sich als Bauern mit ihren Familien eigentlich entschieden haben, – dass eben diese Arbeit verändert, entwertet und vielleicht unmöglich gemacht worden ist. Lebensmittel herzustellen, das Land zu bearbeiten und als Familie zusammen zu leben, diese Lebensziele geraten unter die Pflüge der Bürokratie, der Auflagen und der Preiskämpfe.
Es gibt drei Abstufungen des Zusammenwirkens von Arbeit und Entlohnung: Gutes Geld für gute Arbeit. Gutes Geld für harte Arbeit. Schlechtes Geld für harte Arbeit. Ich glaube, dass die Bauern kurz vor der letzten Stufe angekommen sind, weil immer weniger für immer schwierigere Arbeit bezahlt wird.
Sozialdemokratische Politik kämpft seit über 150 Jahren für gute Arbeit, die mit gutem Geld entlohnt werden soll. Wenn es nicht geht, dass Arbeit gut ist – vom Bergwerk bis zum Fließband – dann soll wenigstens guter Lohn dahinterstehen. Wenn die Arbeitsbedingungen schlecht sind und der Lohn auch schlecht ist, dann ist die Sozialdemokratie auf die Straße gegangen. Die SPD bricht sich also keinen Zacken ab, wenn sie für die Bauern mit auf die Straße geht. Proteste, Demonstrationen und Streik sind die demokratischen und legitimen Mittel, um gute Arbeit und guten Lohn zu erkämpfen.
Der aktuelle politische Umgang mit dieser Protestwelle ist meiner Meinung nach tragisch falsch. Von mehreren Seiten, fast von allen Seiten. Die SPD geht ängstlich in Deckung. Lindner schwadroniert von einer Ponyhof-Landwirtschaft, bei der das Stallausmisten des Luxuspferdes mit Bauernleben gleichgesetzt wird. Özdemir leidet fast körperlich sichtbar an den Gemeinheiten, die er den Bauern antun muss. Und Aiwanger vergreift sich mit einer Machtergreifungs-Rhetorik derart im Ton, dass er damit den ganzen Protest in eine rechte Ecke schiebt. Die CSU versucht die Verantwortung für ihre Bayern-Politik nach Berlin zu lenken. Und die AfD lacht sich die Ackerkrume schief.
Und die Bauern? Wut, Drohungen, Gesamtangriff, Machtgetöse. Gegen wen und gegen was? Egal. Hauptsache weg damit! Die Forderung nach Neuwahlen ist derart am Thema vorbei und eigentlich nur brandgefährlich. Wenn jetzt gewählt werden würde, würde die CDU die Mehrheit haben, den Kanzler stellen können, aber ohne zwei weitere Parteien nicht regieren können. Welche Parteien sollten denn da dann dabei sein? Die Grünen, die Roten, die Gelben, die überhaupt schauen müssen, dass sie dabei sind? Was würde sich ändern? Merz würde alle Kürzungen und Sparmaßnahmen zurücknehmen? Ja, die AfD würde das machen. Und das Geld bei den Schwachen und Armen einsparen. Bauerngeld statt Bürgergeld. Was die Regierungsbeteiligung der AfD für das Land bedeutet, weiß jeder. Weil man es nachlesen kann in den Geschichtsbüchern und in deren Programm. Dieses Giftangebot ist für die Demokratie und für unsere Art des Zusammenlebens tödlich. Diese Sackgasse zu wählen, nur damit die Situation anders wird und aufhört, ist Kurzschluss, Hilflosigkeit und pure Unvernunft.
Und was muss sich dann tun? Streiten, verhandeln, arbeiten, am gleichen Tisch mit den Kernthemen. Ehrlich, respektvoll, zielorientiert. Von beiden Seiten.
Wenn wir als Gesellschaft eine Landwirtschaft wollen, die gesunde Lebensmittel produziert, Land und Boden schützt und mit den Tieren tierwürdig umgeht, dann werden wir wohl unseren Geldbeitrag dazu leisten müssen. Da werden die Bauern sich aber auch in die Augen schauen müssen, ob sie untereinander hier das gleiche Ziel verfolgen. Ob die Industriebetriebe und die Almbauern am gleichen Strang ziehen. Beide landwirtschaftlichen Systeme wird man nicht gemeinsam in die gleiche Scheune einfahren können. Und es werden die Handelsketten mit am Tisch sitzen müssen. Politik ist hierbei die Kunst des Verhandelns, der Kommunikation, des Dialogs.
Diese Kunstfertigkeit lässt die aktuelle Koalition kläglich vermissen, wobei die Dimension der auf der Agenda fixierten Aufgaben (von Corona bis Bundeswehr, von Wärmepumpe bis Bundesbahn, von Migration bis Ungarn) intern mit den unterschiedlichen Interessenslagen der Ampelparteien nicht gerade Einheitlichkeit erwarten lässt.
Trotz alledem: nach dem Sturm zurück an den Tisch und einen Weg suchen, bei dem gutes Geld für gute Arbeit bezahlt wird! Beckenbauer würde sagen: „Geht´s heim und red´s miteinand!“ Die Herstellung von gesunden Lebensmitteln soll Anspruch und Leistung der Bauern sein können und wir als Verbraucher:innen sollen uns diesen Wert leisten. Dabei wird die Diskussion bestimmt nicht erfolgreicher, wenn man alles Ungemach der Zeit mitverhandeln möchte. Dass die EU mit ihrer Agrarpolitik nicht wirklich solidarisch funktioniert, dass es für Handwerker und Spediteure zurzeit auch nicht rosig läuft, dass die Kommunen mit den Flüchtlingen an ihre Grenzen kommen und so weiter und so fort. Um einen solchen riesigen Berg abzutragen, braucht es viele Schaufeln, auf deren Stielen „Unterstützung, Mitmachen, Gesamtverantwortung“ eingraviert sind. Dieser Berg ist weit höher als die Butterberge und Milchseen der 90er Jahre. Solche Berge lassen sich nur Stück für Stück bewältigen, wofür ein gemeinsamer Arbeitsplan fürs Erste das Wichtigste wäre. Dahin müssten wir alle wieder hinkommen.
Beitrag: Norbert Seidl, Erster Bürgermeister Stadt Puchheim
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